Ausgangssituation
Folgende fiktive Situation soll betrachtet werden: In den Tiefgaragen mehrerer Mietobjekte hat es in der jüngeren Vergangenheit vermehrt unerwünschte Vorkommnisse gegeben, darunter Einbruch, Brandstiftung, Vandalismus und Sachbeschädigung an dort abgestellten Fahrzeugen. Sämtliche Vorkommnisse sind dokumentiert und wurden zur Anzeige gebracht. Nun regt sich unter der Mieterschaft der Wunsch nach erhöhter Sicherheit, die u. a. über eine Videoüberwachung erreicht werden soll. Dabei stellt sich die Frage, ob und wie die Videoüberwachung datenschutzkonform ausgestaltet werden kann.
Die datenschutzrechtliche Bewertung sollte anhand der Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen der Datenschutz-Konferenz und der Leitlinien 3/2019 zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch Videogeräte des Europäischen Datenschutz-Ausschusses erfolgen.
Zweck und Rechtsgrundlage
Der Zweck der laut Ausgangssituation geplanten Videoüberwachung soll die Prävention und Aufklärung von Straftaten und Vandalismus sowie die Wahrnehmung des Hausrechts sein. Dieser Zweck bildet zugleich ein berechtigtes Interesse gem. Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO hinsichtlich der Installation von Videoüberwachung. Dieses ist auch aufgrund der dokumentierten Vorkommnisse vorhanden.
Eine Einwilligung gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a) DSGVO in die Videoüberwachung ist praktischerweise kaum umsetzbar und stellt daher auch nach Ansicht der Aufsichtsbehörden keine geeignete Rechtsgrundlage dar.
Ausgestaltung
Die Ausgestaltung der Videoüberwachung in den betroffenen Tiefgaragen sollte in Zusammenarbeit mit dem Datenschutzbeauftragten unter Berücksichtigung der o. g. Veröffentlichungen der Aufsichtsbehörden der Datenschutz-Konferenz erarbeitet werden. Dabei spielen die folgenden Fragestellungen eine Rolle:
- Kann der erwünscht Sicherheitseffekt sinnvoll durch andere, weniger eingriffsintensive Maßnahmen wie zusätzliche Sicherung der Zugänge und Zufahrten der Tiefgarage erreicht werden?
- Ist eine 24h-Überwachung erforderlich oder kann der Überwachungszeitraum sinnvollerweise z. B. auf die Abend- und Nachtstunden sowie das Wochenende beschränkt werden?
- Welche Bereiche der Tiefgarage müssen zwingend überwacht werden? Welche Bereiche können von der Überwachung ausgenommen werden?
- Auf technische Funktionen wie Schwenken, Neigen oder Zoomen, biometrische Erkennung, Verhaltenserkennung und Audioaufnahmen sollte verzichtet werden. Diese sind nach Ansicht der Aufsichtsbehörden in der Regel nicht zulässig.
- Kann ein Monitoring in Echtzeit erfolgen oder sollen die Kameraaufnahmen aufgezeichnet werden? Gegen das Echtzeit-Monitoring kann z. B. der erhebliche personelle und finanzielle Aufwand sprechen
- Sofern die Bilder gespeichert werden sollen, ist die Art und Weise der Speicherung genau zu prüfen. Soll zum Beispiel ein Dienstleister mit Speicherlösung in der Cloud eingesetzt werden, ist mit dem Dienstleister eine AV-Vereinbarung abzuschließen, die die Anforderungen des Art. 28 Abs. 3 DSGVO erfüllt. Außerdem ist ein besonderes Augenmerk auf mögliche Datentransfers außerhalb der EU/EWR zu legen.
- Als besonders datenschutzfreundlich darf die lokale Speicherung der Aufnahmen auf einer Festplatte im zu überwachenden Mietobjekt selbst angesehen werden.
- Je nach Anbieter werden die Aufzeichnungen auf einer Festplatte gespeichert, die von dort anlassbezogen via USB-Stick entnommen werden können. Eine Spiegelung via Internetverbindung an das Geschäftshaus des Vermieters erfolgt dann nicht.
- Die Festplatte wird im Mietobjekt selbst in einem verschlossenen Raum und dort in einem ebenfalls verschlossenen Netzwerk-Rack gelagert.
- Zusätzliche Sicherheit bietet zudem die Verschlüsselung der gespeicherten Daten.
- Welche Speicherdauer der Videoaufnahmen ist für den jeweiligen Zweck erforderlich? Im Falle einer Tiefgarage in einem Mietobjekt, die täglich von Mietern und Hauswarten betreten wird, dürfte nach Ansicht der Aufsichtsbehörden eine Speicherdauer von max. 72 Stunden zulässig sein. Anschließend muss eine automatische Löschung bzw. Überschreibung des Videomaterials erfolgen
Datenschutzorganisation und Verantwortlichkeiten im Unternehmen
Der Umgang mit der Videoüberwachung und den Aufzeichnungen muss klar geregelt werden. In einem Datenschutzkonzept und ggf. in einer Betriebsvereinbarung sollten die internen Zuständigkeiten sowie die Umstände, unter denen die Aufzeichnungen der Videoüberwachung ausgewertet werden dürfen , festgelegt werden. Für eine besonders datenschutzfreundliche Organisation sollten die folgenden Hinweise beachtet werden:
- Zugriff auf Aufzeichnungen darf nur anlassbezogen bei Einbrüchen, Diebstählen oder Vandalismus/Straftaten zur Täteridentifikation und zur Beweissicherung erfolgen.
- Idealerweise soll die Auswertung der Aufzeichnungen nur durch den Eigentümer des Mietobjekts erfolgen. Bei einer Auswertung durch einen externen Dienstleister sind entsprechende datenschutzrechtliche Vereinbarungen abzuschließen.
- Zugriff die Aufzeichnungen sollten nur ausgewählte/festgelegte Mitarbeiter unter dem 4-Augen-Prinzip erhalten, z. B. Vorstand/Geschäftsführung, Abteilungsleiter des Bestandsmanagements, Betriebsratsmitglied und/oder Datenschutzbeauftragter
- Es sollte ausgeschlossen werden, dass Aufzeichnungen an Dritte weitergegeben werden. Außerhalb des Unternehmens wird im Einzelfall lediglich Sicherheitsbehörden Zugriff auf Videoaufzeichnungen gewährt.
Interessenabwägung mit den schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personen
Die Verarbeitung ist nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO rechtmäßig, wenn dies zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person überwiegen. Ob die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO erfüllt sind, ist anhand einer dreistufigen Prüfung zu ermitteln:
1. Stufe: Vorliegen eines berechtigten Interesses des Verantwortlichen oder eines Dritten
2. Stufe: Erforderlichkeit der Datenverarbeitung zur Wahrung dieses Interesses
3. Stufe: Abwägung mit den Interessen, Grundrechten und Grundfreiheiten der betroffenen Person im konkreten Einzelfall
Vorliegen eines berechtigten Interesses des Verantwortlichen oder eines Dritten
Das berechtigte Interesse liegt in der Prävention und Aufklärung von Straftaten und Vandalismus sowie die Wahrnehmung des Hausrechts.
Erforderlichkeit und Geeignetheit der Datenverarbeitung zur Wahrung dieses Interesses
Die Videoüberwachung dürfte in vielen Fällen geeignet sein, Anhaltspunkte für Ermittlungen zu liefern und potenzielle Täter von Einbrüchen, Diebstählen und Vandalismus abzuschrecken. Zudem sind hier die individuelle Ausgestaltung der Videoüberwachung und die diesbezügliche Datenschutzorganisation im Unternehmen zu berücksichtigen. So sollte hier z. B. begründet werden, warum andere, weniger eingriffsintensive Maßnahmen nicht für den vorgesehenen Zweck geeignet sind, warum ggf. eine zeitliche Einschränkung nicht zielführend ist (gelten bestimmte Zugangszeiten?) und warum eine längere Speicherdauer als 72 Stunden erforderlich ist.
Abwägung mit den Interessen, Grundrechten und Grundfreiheiten der betroffenen Person im konkreten Einzelfall
Stellplatzmieter
Bezüglich der Stellplatzmieter muss der Eingriff in den Privatbereich so gering wie möglich gehalten werden. Die Videoüberwachung erfolgt allein in der Tiefgarage. Sie darf also nicht den Privatbereich auf den Etagen der einzelnen Wohneinheiten erfassen. Auch Gemeinschaftsbereiche dürfen nicht erfasst werden. Das Landgericht Berlin (63 O 213/20) sprach dem Mieter eines Mehrparteienhauses ein Schmerzensgeld nach Art. 82 DSGVO zu, weil der Eigentümer den Innenhof des Gebäudes per Video überwachen ließ. Die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen überwiegen, da insbesondere der Innenhof von den Bewohnern des Hauses und deren Kindern als Rückzugsort genutzt würde.
Die Überwachung einer Tiefgarage ist voraussichtlich weniger kritisch zu bewerten, da sich Mieter mit dem Mietvertrag für einen Pkw-Stellplatz oftmals auf die zweckgebundene Nutzung der Tiefgarage und des Stellplatzes verpflichten. Außerzweckmäßige Nutzungen des von der Videoüberwachung erfassten Bereichs, die besondere Einblicke in den Privatbereich der Stellplatzmieter ermöglichen könnten, sind damit i. d. R. vertraglich eingeschränkt. Eine Speicherbegrenzung auf 72 Stunden und weitere technische und organisatorische Ausgestaltung der Videoüberwachung tragen zusätzlich zur Reduzierung der Eingriffsintensität bei.
Beschäftigte
Aufgrund der Videoüberwachung ist es möglich, dass Beschäftigte des Eigentümers (z. B. Hauswarte) bei der Verrichtung ihrer Aufgaben aufgezeichnet werden. Daher muss vermieden werden, dass die Videoüberwachung zur Kontrolle der Beschäftigten durch den Eigentümer als Arbeitgeber eingesetzt werden kann. Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein, gemeinsam mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Videoüberwachung zu erarbeiten und abzuschließen.
Besucher/Gäste/Lieferanten
In einer Tiefgarage findet Besucherverkehr findet i. d. R. nur in Ausnahmefällen statt. Sollten doch einmal Besucher, Gäste oder Lieferanten von der Videoüberwachung erfasst werden, müssen diese transparent über die Maßnahme informiert werden.
Dokumentationspflicht
Die Videoüberwachung muss im Verfahrensverzeichnis gem. Art. 30 Abs. 1 DSGVO dokumentiert werden. Hier sind auch die Standorte jeder einzelnen Kamera in einem Lageplan zu verzeichnen.
Hinweispflicht
Art. 12 ff. DSGVO regeln die Anforderungen an eine transparente und umfassende Information der betroffenen Person. Die Zustimmung aller Mieter ist nicht erforderlich, da die Videoüberwachung auf das berechtigte Interesse des Eigentümers bzw. das der Stellplatzmieter gestützt wird. Die Mieter und alle, die die Tiefgarage betreten, sollten mit Hilfe einer zweistufigen Information auf die Videoüberwachung entsprechend der Vorgaben der Datenschutz-Konferenz hingewiesen werden:
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Vorgelagertes Hinweisschild, das auf Augenhöhe angebracht ist und den Betroffenen einen schnell wahrnehmbaren Überblick über die wichtigsten Informationen verschafft.
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Vollständiges Informationsblatt, das an geeigneter Stelle ausgelegt oder ausgehängt ist und zusätzlich auf einer Webseite vorgehalten werden kann.
Datenschutz-Folgenabschätzung
Unter Umständen kann es erforderlich sein, vorab eine Datenschutz-Folgenabschätzung gem. Art. 35 DSGVO (DSFA) für die geplante Videoüberwachung durzuführen. Um dies zu bestimmen, solle eine Voranalyse gemeinsam mit dem Datenschutzbeauftragten durchgeführt werden. Die DSFA muss insbesondere dann durchgeführt werden, wenn eine systematische und umfangreiche Überwachung öffentlich zugänglicher Bereiche erfolgt oder biometrische Verfahren zur Datenverarbeitung eingesetzt werden. Da es sich bei einer Tiefgarage in einem Mietobjekt nicht zwangsläufig einen öffentlich zugänglichen Bereich wie Einkaufszentrum, Straße oder Bahnhof handelt, sollte die Erforderlichkeit sorgfältig geprüft werden. Bei einer besonders datenschutzfreundlichen Ausgestaltung der Videoüberwachung (vgl. Ziffern II. + IV.) kann ggf. auf eine DSFA verzichtet werden. Die Voranalyse hierzu sollte stets gut begründet und dokumentiert werden. Dies ist jedoch immer von der Bewertung des Risikos für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen im jeweiligen Einzelfall der Videoüberwachung abhängig.